Was ist ein Trauma?
Ursachen, Arten und Folgen erklärt
Richard Geier
9/18/2025


Traumadefinition
„Trauma entsteht, wenn der Organismus in seiner Fähigkeit, Erregungszustände wieder zu regulieren, überfordert ist. Das (traumatisierte) Nervensystem kommt durcheinander, es bricht zusammen und kann sich nicht selbst wieder in die ursprüngliche Situation zurück bringen.“ – Peter Levine
Die WHO definiert ein Trauma als „ein kurz- oder langanhaltendes Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß“. Meistens gehen solch traumatische Ereignisse mit Hilflosigkeit und Ohnmacht einher.
Der Begriff Trauma kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Wunde“. Man kann ihn bildhaft als eine „seelische Verletzung“ verstehen, die durch Überforderung der psychischen (und evtl. auch körperlichen) Schutzmechanismen bei einem traumatisierenden Erlebnis entsteht. Diese Schutzmechanismen bilden unsere „psychische Widerstandskraft“, die sog. „Resilienz“. Wie gut diese bei einem Individuum ausgebildet ist, ist sowohl von personalen Faktoren wie der genetischen Disposition, den kognitiven und emotionalen Fähigkeiten sowie von Umweltfaktoren wie Erziehung und Unterstützung durch die Familie und das soziale und kulturelle Umfeld, abhängig.
Es ist also wichtig zu beachten, dass jeder Mensch seine eigene subjektive Empfindung hat, was für ihn überwältigend ist. Auch Ereignisse wie Unfälle, Stürze, Krankheiten, Operationen und Geburten, die man gemeinhin als normale menschliche Erfahrungen einstufen würde, können wie oben beschrieben im Nervensystem als Trauma abgespeichert werden und zu typischen Traumasymptomen führen.
Arten von Trauma
Schocktrauma
Bei einem Schocktrauma handelt es sich um ein in der Regel einmaliges Ereignis, das von der betroffenen Person und den meisten Menschen als katastrophal und überwältigend empfunden wird. Hierzu gehören u.a. Faktoren, die das eigene Leben oder das Leben eines Nahestehenden bedrohen, plötzliche Zerstörung des eigenen Zuhauses oder der Gemeinschaft, Vergewaltigung, der Anblick von Naturkatastrophen, Schießereien o.ä., bei denen Menschen schwer verletzt oder getötet werden, sowie Geiselnahme.
Entwicklungs- und Bindungstrauma
Entwicklungs- und Bindungstraumata sind Formen komplexer Traumatisierungen. Es entsteht typischerweise durch anhaltenden physischen und/oder psychischen Missbrauch oder Vernachlässigung in der Kindheit, häufig durch nahe Bezugspersonen.
Entwicklungstraumatisierungen betreffen dabei die spezifischen Herausforderungen, die Kinder während des Aufwachsens bewältigen müssen. Werden diese nicht angemessen begleitet, kann das die Entwicklung des Kindes nachhaltig beeinträchtigen.
Bindungstraumatisierungen betreffen die Beziehung zu den primären Bezugspersonen in den frühestens Lebensjahren. Es handelt sich in den meisten Fällen nicht um Gewalt. Ein Bindungstrauma kann sich entwickeln, wenn wichtige Kernbedürfnisse in der Kindheit nicht ausreichend erfüllt werden.
Fünf Kernbedürfnissen (nach Lawrence Heller), die beim Heranwachsen eines Kindes optimalerweise erfüllt werden sollten:
Kontakt/Verbindung: Das Kind/Baby braucht die Erfahrung, bei seinen Eltern und in seinem Körper willkommen zu sein. Dadurch entwickelt sich die Fähigkeit, mit seinem eigenen Körper und seinen Emotionen in Berührung zu sein und mit anderen Menschen in Kontakt zu sein.
Einstimmung: Die Eltern sollten in der Lage sein, die Bedürfnisse des Baby’s nach Nahrung, Körperkontakt und Aufmerksamkeit zu unterscheiden und auf diese angemessen einzugehen. Es lernt seine eigenen Bedürfnisse zu spüren und sich später auch selbst zu „nähren“.
Vertrauen: Für ein Kleinkind ist es essenziell, dass es seinen Eltern und nahen Bezugspersonen bedingungslos vertrauen kann, damit es ein Grundvertrauen in das Leben und eine gesunde gegenseitige Abhängigkeit entwickeln kann.
Autonomie: Als Kleinkind brauchen wir die Erfahrung, dass wir die Freiheit haben, die Welt zu entdecken, um unsere Eigenständigkeit zu üben, sowie dass die Grenzen, die wir aufzeigen, respektiert werden. Hierdurch wird die Fähigkeit ausgebildet, angemessene Grenzen zu setzen, „Nein“ zu sagen und zu unserer Meinung zu stehen.
Liebe und Sexualität: Für ein Kind sind die Erfahrungen wichtig, dass es geliebt wird, so wie es ist, dass seine Liebe aufgenommen wird und dass es beim Entdecken und Erforschen seiner Sexualität bestätigt wird. Dadurch entwickeln wir die Fähigkeit, das Herz zu öffnen und liebevolle Beziehungen mit einer erfüllenden Sexualität zu verbinden.
Traumasymptome
Achtung: Symptome von Schock- und Komplexem Trauma greifen oft fließend ineinander. Häufig haben Menschen mit komplexem Trauma auch Schocktraumata erlebt.
Ein relativ sicheres Anzeichen für ein Schocktrauma ist das Auslösen durch einen Trigger (z.B. ein Wort, eine Bewegung, Geräusche,..)
Schocktrauma
Automatisches und unwillentliches Wiedererleben der traumatischen Erinnerungen (oft ausgelöst durch Trigger): Die Ereignisse werden in Form von belastenden inneren Bildern, Geräuschen oder Körperempfindungen oder in Alpträumen wieder erlebt. Die Qualität des Wiedererlebens kann so intensiv werden, dass der Kontakt zur Realität kurzzeitig verloren geht.
Vermeidung: Um das Wiedererleben zu reduzieren und Kontrolle darüber zu erlangen, versuchen Betroffene, möglichst alles zu vermeiden, was an die Ereignisse erinnern könnte. Traumarelevante Gedanken und Gefühle werden häufig weggedrückt und vermieden. Gleiches gilt für Situationen, Orte und Aktivitäten, die Erinnerungen auslösen könnten.
Gefühlstaubheit: Zu dieser Symptomgruppe gehört das Gefühl, sich emotional wie taub und abgestumpft und dann wieder durch Erinnerungen plötzlich sehr unruhig und empfindsam zu erleben. Interessenverlust, Rückzug, Entfremdungsgefühle und wie abgetrennt sein von der Welt um sich herum sind ebenfalls Merkmale, die in diese Gruppe gehören.
Chronische Übererregung: Sich wie auf der Hut fühlen, die Umgebung auf Gefahrensignale hin genau überwachen und ständig in Hab-Acht-Stellung sein führen zu deutlich erhöhter Schreckhaftigkeit und einer oft andauernden Übererregung. Als Folge davon treten meist auch massive Konzentrationsschwierigkeiten, erhöhte Reizbarkeit und Schlafstörungen auf.
Komplexe Traumata
Affektregulierungsstörung: Schwierigkeiten bei der Regulierung von Emotionen sind häufig. Das kann zu starken Stimmungsschwankungen, impulsivem Verhalten oder intensiven Wutausbrüchen führen.
Negative Selbstwahrnehmung: Menschen mit Bindungsstörungen können Schwierigkeiten haben, eine klare und positive Selbstwahrnehmung zu entwickeln. Sie können sich selbst als ungeliebt oder nicht wertvoll empfinden.
Bindungsstörung: „Reinszenieren“ eigener Bindungserfahrungen als wiederkehrende Muster. Trotz großem Wunsch nach stabiler und sicherer Bindung gelingt dies häufig nicht. Es gibt Schwierigkeiten beim Aufbau von Vertrauen und die Angst vor Verlassenwerden kann zu Kontrollverhalten führen. Es kann eine generelle Angst vor Nähe bestehen, was zur Vermeidung von Beziehungen führen kann. Ebenso kann es zu ambivalentem Bindungsverhalten kommen.
Quellen & weiterführende Literatur
Levine, P. A. (1997). Waking the Tiger: Healing Trauma. North Atlantic Books.
Levine, P. A. (2010). In an Unspoken Voice: How the Body Releases Trauma and Restores Goodness. North Atlantic Books.
Heller, L., & LaPierre, A. (2012). Healing Developmental Trauma: How Early Trauma Affects Self-Regulation, Self-Image, and the Capacity for Relationship. North Atlantic Books.
van der Kolk, B. (2014). The Body Keeps the Score: Brain, Mind, and Body in the Healing of Trauma. Viking.
WHO – ICD-11 Trauma-Definition: https://icd.who.int
Deutsche Gesellschaft für Trauma und Dissoziation (DGTD): https://dgtd.org